Offener Brief an die Bundesregierung vom 7.5.2012
Ohne eine europaweite Energieeffizienzpolitik ist die Energiewende in Gefahr
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
mit großer Sorge verfolgen wir, dass die Bundesregierung es bislang versäumt, Energieeffizienz als wichtigsten und kostengünstigsten Baustein der Energiewende umzusetzen.
Die derzeitige Verhandlungslinie bei der Gestaltung der Energieeffizienzrichtlinie im EU-Rat führt dazu, dass von der ursprünglichen Wirkung des Gesetzesvorschlags nur etwas mehr als ein Drittel übrig bleibt. Damit wird das unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2007 vereinbarte Ziel zur Senkung des Primärenergieverbrauchs um 20 Prozent deutlich verfehlt. Es bestürzt uns, dass die Bundesregierung erst ehrgeizige Klimaschutz- und Energiesparziele vorantreibt, dann aber, wenn es um die Umsetzung dieser Ziele geht, wirkungsvolle Maßnahmen und Gesetze verhindert.
Nach im April bekannt gewordenen Rechnungen der EU-Kommission nimmt die Politik im EU-Ministerrat damit in Kauf, dass
- die Bürger und die Wirtschaft in Europa jährlich mit vermeidbaren Energiekosten in Höhe von 44 Milliarden Euro belastet werden;
- Europa 400.000 neue Arbeitsplätze und ein nachhaltiges Wachstum von 34 Milliarden Euro entgehen;
- die langfristigen Klimaschutzziele verfehlt werden;
- Europa in hohem Maße von krisenanfälligen und endlichen Energieimporten aus Ländern abhängig bleibt, in denen der Raubbau an Ressourcen oft mit schlechten Arbeitsbedingungen, schweren Umweltschäden und der Vertreibung benachteiligter Bevölkerungsgruppen einhergeht.
Erst kürzlich haben die führenden deutschen Energiewissenschaftler sowie der Rat für Nachhaltige Entwicklung auf die Versäumnisse der Bundesregierung hingewiesen und gefordert, mit Energieeffizienz und der Energiewende endlich Ernst zu machen. Das EU- Parlament und EU-Kommissar Günther Oettinger haben mehrfach auf die Vorteile der Energieeffizienzrichtlinie aufmerksam gemacht. Alle Teile der Gesellschaft erwarten, dass die Potenziale für Energieeffizienz endlich gehoben werden. Doch bislang passiert genau das Gegenteil:
- Die EU-Energieeffizienzrichtlinie wird immer weiter abgeschwächt;
- die energetische Gebäudesanierung stockt, Fördergelder werden gekürzt oder verharren auf niedrigem Stand;
- der neue Vorschlag zur Energieeinsparverordnung bietet keine Antwort auf die Herausforderung, die Einsparpotenziale bei bestehenden Gebäuden im gesellschaftlichen Konsens zu heben;
- Investitionen in energieeffiziente Industrieanlagen werden zurückgehalten;
- in der Entwicklung des Stromverbrauchs ist die notwendige Trendwende nicht erkennbar.
Wir brauchen Ihr entschiedenes Handeln, Frau Bundeskanzlerin, damit eine erfolgreiche Energiewende Wirklichkeit werden kann. Als Vertreter von Umwelt-, Verbraucherschutz- und Energiewirtschaftsverbänden, Unternehmen, Gewerkschaften, Ingenieuren und Entwick- lungsorganisationen bitten wir Sie mit Nachdruck, sich für eine starke EU-Energieeffizienzrichtlinie mit verbindlichen und ehrgeizigen Instrumenten einzusetzen. Unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2007 haben Sie durchsetzen können, dass Europa sich das ehrgeizige Ziel steckt, den Energieverbrauch bis 2020 um ein Fünftel gegenüber den Prognosen zu senken. Sie haben Deutschland Mut gemacht, dabei als Ener- giesparweltmeister in Führung zu gehen.
Bitte stehen Sie zu Ihrem Wort.
UNTERZEICHNER:
- Hubert Weiger, Vorsitzender, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)
- Christian Noll, Geschäftsführender Vorstand, Deutsche Unternehmensinitiative Energieeffizienz (DENEFF)
- Hubert Weinzierl, Präsident, Deutscher Naturschutzring (DNR)
- Christian Held, Stellvertretender Präsident, GEODE
- Klaus Milke, Vorstandsvorsitzender, Germanwatch
- Klaus Wiesehügel, Vorsitzender, IG Bauen-Agrar-Umwelt
- Julia Junge, Leiterin der Geschäftsstelle, Klima-Allianz Deutschland
- Thomas Kraneis, Leiter der Fachgruppe Erneuerbare Energien, Verband Beratender Ingenieure (VBI)
- Gerd Billen, Vorstand, Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv)