Leserbrief zum Artikel „Flüsterasphalt für Ostwestfalendamm“ vom 3.9.2011 (von Jens Reichenbach, Lokalteil) NW

Blanker Zynismus

Wer gegen den wachsenden Verkehrslärm ankämpft, kommt sich schnell vor wie Don Quichote im Kampf mit den Windmühlen: Man hat es mit einer mächtigen Lobby und einem Gestrüpp von Bürokratie und Rechtsvorschriften zu tun. Der Bericht in der NW und die Verwaltungsvorlage, auf die er sich bezieht, sind dafür ein klassisches Beispiel.

Wenig überraschend kommt die Verwaltung nach zweijähriger (!) Prüfung zu dem Ergebnis, dass nur an wenigen Gebäuden die Grenzwerte überschritten seien und dass es deshalb „keine zwingende Notwendigkeit“ für eine weitere Temporeduktion gebe. Der Autor des NW-Berichts schreibt dazu, dass dies „gemessen“ worden sei. Hier ist aber gar nichts gemessen worden, sondern die Lärmwerte wurden – wie immer – durch Modellrechnungen ermittelt. Und da liegt schon der Hase im Pfeffer. In die Rechnungen gehen Parameter ein, die nachweislich dazu führen müssen, dass die errechneten Lärmwerte niedriger sind als die, die man bei Messungen bekommen würde. Die drei wichtigsten Parameter sind die tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit, die Gesamtverkehrsmenge und der LKW-Anteil. Es wird immer davon ausgegangen, dass alle Autos das Tempolimit einhalten. Wie weit das von der Realität entfernt ist, weiß jeder. Es werden in aller Regel zu niedrige Gesamtverkehrsmengen und LKW-Anteile angesetzt – ich habe noch nie das Gegenteil erlebt. Die benutzten Daten sind oft alt und überholt. Bemerkenswert ist, dass die Verwaltungsvorlage zur Verkehrsmenge und zum LKW-Anteil keine Angaben macht.

Ein weiterer Knackpunkt sind die zugrunde gelegten Lärmschutz-Richtwerte. Die Verwaltung benutzt die Richtwerte für „Lärmsanierung“, die für bereits existierende Straßen maßgeblich sind – das ist rechtskonform. Betroffene fragen sich dennoch zu Recht: Warum werden eigentlich diese Richtwerte zugrunde gelegt und nicht die, die beim Neubau von Straßen gelten? Für diese „Lärmvorsorge“ gelten in Wohngebieten am Tage 59 db(A) und nachts 49 db(A), im Gegensatz zu 70 db(A) bzw. 60 db(A) bei „Lärmsanierung“. Mit anderen Worten: Den Anwohnern einer alten Straße wird nachts sogar noch mehr Lärm zugemutet als den Anwohnern einer neuen Straße am Tage. Der Grund für diese Absurdität ist denkbar einfach: Bis weit in die 80er Jahre hinein sind große Straßen nur mit minimalem Lärmschutz gebaut worden. Dass hier eine „Lärmsanierung“ erforderlich ist, ist unstrittig. Aber um Kosten zu sparen, sind ganz einfach die Richtwerte sehr hoch angesetzt worden. Gegenüber den Betroffenen ist das blanker Zynismus. Hier ist allerdings nicht die Verwaltung zu geißeln, sondern die Bundespolitik.

Die Verwaltung hatte u. a. den Auftrag zu prüfen, ob eine Temporeduzierung aus Gründen des Lärmschutzes rechtlich zulässig sei. Darauf bleibt die Verwaltung eine Antwort schuldig. Sie kommt nur zu dem Ergebnis, dass diese nicht zwingend notwendig sei. Das ist keine Rechtsauskunft, sondern eine inhaltliche Bewertung. Als entscheidenden Grund führt sie die „hohe verkehrliche Bedeutung des OWD“ an. Dieser Grund erweckt den Eindruck, als würde die Leistungsfähigkeit einer Straße bei niedrigerem Tempolimit sinken. Das ist nachweislich falsch. Das Gegenteil ist der Fall. Jeder kennt das von Computer gesteuerten Anlagen zum variablen Tempolimit auf Autobahnen: Steigt das Verkehrsaufkommen, wird das Tempolimit gesenkt, um die Kapazität der Straße zu erhöhen.

Dass es auch anders geht, zeigte vor ca. zwei Jahren der Regierungspräsident von Arnsberg, Helmut Diegel. Er ordnete für einen 5 km langen Abschnitt der A42 bei Herne ein Tempolimit von 80 km/h rund um die Uhr an, weil es in dem Abschnitt nur unzureichenden Lärmschutz gab. Auf eine aufwendige Prüfung hatte er verzichtet, offenbar weil er das Schutzbedürfnis der Anwohner wirklich ernst nahm. Es ist nicht anzunehmen, dass Herr Diegel rechtswidrig gehandelt hat.

Dr. Godehard Franzen

GodehardFranzen/Leserbrief/2011-09-10 (zuletzt geändert am 2023-02-08 16:03:30 durch KurtGramlich)

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