Die Wurzel des Übels: Zu viele Autos und LKWs
30.06.2014
Leserbrief zum Artikel „180 Baustellen machen NRW zum Stauland“ (Titelseite 26.06.2014) und Kommentar „Doktern am Symptom“
Die Wurzel des Übels: Zu viele Autos und LKWs
Mindestens einmal im Jahr, meist vor Beginn der Sommerferien, taucht in unseren Zeitungen wie das Ungeheuer von Loch Ness das große Lamento über die vielen Baustellen auf deutschen Autobahnen auf. Jahr für Jahr wird seitens der zuständigen Akteure Besserung gelobt – durch besseres Baustellenmanagement, durch bessere Informationen usw. Seit einigen Jahren wird zunehmend beklagt, dass für die Unterhaltung der Autobahnen zu wenig Geld zur Verfügung stehe. Die maroden Brücken sind als Metapher für die trostlose Situation in aller Munde. Es gibt inzwischen einen lebhaften Wettbewerb bei den Vorschlägen, wie man mehr Geld für Unterhaltungsinvestitionen mobilisieren könne. Hubertus Gärtner überschreibt seinen treffenden Kommentar mit „Herumdoktern an Symptomen“. Wie wahr – das wirkt alles ziemlich hilflos. Man kann sich schon seit Jahren des Eindrucks nicht erwehren, dass sich die Entscheidungsträger der einzig rationalen Schlussfolgerung aus der Entwicklung der letzten Jahre bzw. Jahrzehnte nicht stellen wollen: Die Strategie, die ständig wachsenden Verkehrsmengen durch immer neuen Straßenbau zu bewältigen, ist gescheitert. Die Strategie erinnert mich an den Mythos von Sisyphus.
Nun mahnen einflussreiche Politiker und Lobbyisten dennoch gebetsmühlenartig den weiteren Ausbau der Fernstraßen an, weil man mit einem weiteren Anstieg der Verkehrsmengen rechnen müsse. Ein besonders krasses Beispiel ist die Forderung nach einer Entlastungsautobahn für die A2. Nach einer Studie der Bundesregierung aus dem Jahre 2008 sei mit einem Zuwachs des LKW-Verkehrs bis 2025 um 84 % zu rechnen. Das Anwachsen der Verkehrsmengen wird bei uns wie ein naturgesetzlicher Vorgang behandelt. Dabei ist die Verkehrsentwicklung von Menschen gemacht und dementsprechend auch von uns beeinflussbar. Die ökonomischen Bedingungen begünstigen seit Jahrzehnten das Wachsen des Verkehrsmarktes, vor allem beim Warentransport. Warum werden eigentlich den LKWs die tatsächlichen Kosten für die (Ab-)Nutzung der Straßen nicht wirklich angelastet? Man weiß doch seit Jahren, dass ein 30-Tonner 50.000- mal so schädlich für eine Autobahn ist wie ein PKW! Aber auch unser Konsumverhalten produziert reichlich überflüssigen Verkehr. Es ist hinreichend über massenhafte und völlig unsinnige Warentransporte berichtet worden, nur um unvernünftige Kundenwünsche zu erfüllen oder minimale Preisvorteile zu realisieren. Es gibt im öffentlichen Diskurs auch kaum jemanden, der solchen Unfug rechtfertigt. Dennoch passiert nichts.
Wir brauchen eine völlige Neuorientierung der Verkehrspolitik. Sie muss aus dem Ziel abgeleitet werden, das Anwachsen der Verkehrsmengen zu stoppen und mittelfristig die Verkehrsmengen zu reduzieren. Dazu müssen die Rahmenbedingungen für den PKW-Verkehr und vor allem für den LKW-Verkehr verändert werden. Und zusätzlich brauchen wir eine Investitionsoffensive für den ÖPNV, für den Warentransport auf der Schiene und den Radverkehr. 30 % weniger Straßenverkehr bis 2030 sind machbar, ohne Wohlstandseinbußen, aber mit einem Gewinn an Lebensqualität für alle. Vermutlich wäre eine solche Verkehrspolitik auch volkswirtschaftlich die deutlich bessere Variante: Langfristig würde sie die öffentlichen Haushalte entlasten. Und last but not least: So würde endlich der Verkehrssektor einen substantiellen Beitrag zum Klimaschutz leisten.