Leserbrief zu „ICE-Trasse: Bielefeld wechselt die Seiten“ vom 17.10.2023

Das Konzept des integralen Taktfahrplans, das dem Deutschlandtakt (DT) zugrunde liegt, ist in der Theorie eine prima Idee, reibt sich aber in der Praxis mit vielen Randbedingungen, weil die großen Städte und Bahnknoten geographisch nicht auf dem Reißbrett entstanden sind und sich nicht verschieben lassen. Nach meiner Kenntnis hat bisher nur die Schweiz einen integralen Taktfahrplan für den Fern- und Regionalverkehr eingeführt, nicht lupenrein, aber doch ziemlich stringent. Die Schweiz verzichtet dabei auf Hochgeschwindigkeitsstrecken und hat wegen der überschaubaren Größe auch günstigere Bedingungen. Länder wie Frankreich oder das Eisenbahnmusterland Japan haben bewusst auf einen integralen Taktfahrplan verzichtet. Japans Eisenbahnerfolg beruht vor allem auf einer sehr gut ausgebauten Infrastruktur, enger Taktung und absoluter Zuverlässigkeit.

Viele Kritiker des DT sagen: Der DT ist auf Kante genäht. Die Umsteigezeiten sind unrealistisch knapp bemessen, insbesondere für Fahrgäste mit Gepäck oder Handycap. Die knappen Umsteigezeiten setzen eine absolute Zuverlässigkeit voraus. Selbst kleinste Störungen können das ganze System aus dem Takt bringen. In der Praxis wird das nicht funktionieren, sagen viele Experten.

Der DT baut auf der fragwürdigen Prämisse auf, dass für die Verknüpfung der großen Metropolen zum Flugverkehr konkurrenzfähige Reisezeiten erreicht werden sollen. Das führt letztlich zu so fragwürdigen Forderungen wie die 31 Min. Fahrzeit für die Relation Bielefeld – Hannover. Die dafür erforderliche Fahrgeschwindigkeit von 300 km/h hat mit Nachhaltigkeit nichts mehr zu tun. Der Energieverbrauch ist bei 300 km/h mindestens 70% höher als bei 230 km/h. Das Ziel der Konkurrenzfähigkeit zum Flugverkehr ist in meinen Augen ökologischer Unfug. Um den Inlandsflugverkehr einzudämmen, gibt es andere einfachere Mittel. Es fehlt der Mut, sie anzuwenden.

Wenn man sich dann noch den Zeithorizont für die Umsetzung des DT (das Verkehrsministerium spricht inzwischen von 2070), die immensen Kosten und die massiven Eingriffe in Natur und Landschaft ansieht, kann man nur zu dem Schluss kommen: Der DT ist eine Fata Morgana. Es gibt viele konstruktive Vorschläge für die Attraktivierung der Bahn, vor allem im Regionalverkehr. Hier können große Fahrgastpotentiale gehoben werden, und zwar zeitnah. Das wäre allemal von größerem Interesse für Bielefeld, als einer Fata Morgana nachzujagen.

Godehard Franzen

GodehardFranzen/Leserbrief/2023-10-17 (zuletzt geändert am 2023-10-20 07:52:22 durch KurtGramlich)

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