Das Internet ist der wahre Klimakiller
Die Internetnutzung wächst rasant – und das ist schlecht fürs Klima. Denn der Energiehunger des Datennetzes ist kaum zu stillen: Besonders die Großrechner von Firmen verbrauchen Unmengen an Strom. Der CO2-Ausstoß des gesamten Internets ist inzwischen so groß wie der des weltweiten Flugverkehrs.
Im Grunde genommen gibt es nichts Umweltfreundlicheres als eine digitale Identität im virtuellen Computerspiel Second Life. Keine Autoabgase, keine Müllberge, keine Ressourcen-Verschwendung. Die Spieler bewegen sich mittels so genannter Avatare nur als Abbild durch die schöne, neue Welt. In Second Life ist jeder ein Öko. Falsch. Ein virtueller Second-Life-Mensch verbraucht mehr Strom als ein durchschnittlicher Brasilianer. Der US-Blogger und Buchautor Nicholas Carr hat die Ökobilanz der Avatare durchgerechnet. Berücksichtigt man den Stromverbrauch der Spieler-Computer und der 4000 Second-Life-Server, so ergibt das einen Jahresverbrauch von 1752 Kilowattstunden pro Avatar. Für den Planeten ist das bitter: Jedes Jahr produziert eine virtuelle Identität 1,17 Tonnen des Klimakillers CO2. Tatsächlich hat sich das Internet zu einem gigantischen Stromschlucker entwickelt. Die rasante Verbreitung des Datennetzes ist inzwischen zur Bürde für den Globus geworden. „Die Umweltbelastung mit CO2 entspricht bereits der des weltweiten Flugverkehrs“, sagt Martin Hingley, Chefforscher beim Beratungsinstitut IDC.
Das Internet ist weit davon entfernt, sauber zu sein. Der enorme Energiehunger und die damit verbundene Klimabelastung lässt inzwischen die ganze Industrie Alarm schlagen. Chip- und Computerhersteller gründen Initiativen gegen die Klimavernichtung und weisen ihre Forscher an, schnellstmöglich energiesparende Lösungen vorzulegen. Kaum vergeht eine Woche ohne Kongress zum Thema umweltfreundliche Informationstechnologie. Inzwischen sind sich alle einig: Das Internet soll grün werden. Und zwar schnell.
Dafür ist es auch höchste Zeit, wie die jüngste Meldung über die Nordwestpassage zwischen Atlantik und Pazifik verdeutlicht, die in diesem Jahr erstmals eisfrei ist. CO2 gilt als Hauptverursacher für steigende Temperaturen. Das bedeutet: Das Internet heizt unseren Planeten auf.
„Bereits im Jahr 2005 wurden rechnerisch weltweit rund 20 Eintausend-Megawatt-Großkraftwerke allein dafür benötigt, um den Strombedarf des Internets und der zugehörigen Datenzentren zu decken“, sagt Joachim Lohse, Geschäftsführer des Freiburger Öko-Instituts. Allein zwischen 2000 und 2005 hat sich der Stromhunger des World Wide Web verdoppelt. Das ist kaum verwunderlich. Die Datenmenge im Internet verdoppelt sich sogar alle vier Monate. Allein das Video-Portal YouTube produziert heute so viel Datenverkehr wie das gesamte Internet vor zwei Jahren. Im Grunde belastet jeder Mausklick das Klima. Die New York Times hat den Stromverbrauch von Google untersucht. Ergebnis: Jede Suchanfrage braucht so viel Strom, wie eine Energiesparlampe in einer Stunde. Das hat nicht nur Folgen für die Umwelt. Es macht auch den Betrieb von Servern teuer, auf denen die Informationen der Internet-Seiten gespeichert werden. Unternehmen wie Google und ebay zahlen mehrere Mio. Dollar für ihren Strom – monatlich. Um die Anfragen der Nutzer bearbeiten zu können, unterhalten sie mehrere Hunderttausend dieser Rechner. Energiekonzerne müssen immer häufiger abwinken, wenn es um den Neubau von Rechenzentren geht. Sie können in bestimmten Gebieten die Strommengen schlichtweg nicht mehr liefern.
Steigende Energiepreise
Vor allem die steigenden Energiepreise – in Deutschland haben sich die Kosten innerhalb von fünf Jahren fast verdoppelt – lassen die Konzerne stöhnen. „Strom ist unser größter Kostenfaktor“, sagt Damian Schmidt, Chef bei Strato. Strato speichert mehr als drei Mio. Internet-Adressen in seinen Rechenzentren in Berlin und Karlsruhe und ist damit der zweitgrößte Anbieter dieser Art in Europa. Ein Viertel des deutschen Internets liegt auf Stratos Rechnern. Nicht nur, dass die Hochleistungsrechner Betriebsstrom brauchen. Sie heizen sich dabei auch noch so stark auf, dass sie mit großem Aufwand gekühlt werden müssen. Wenn irgend möglich, gehen die Betreiber dieser Server-Farmen dahin, wo der Strom billig ist. Oder sie setzen alles daran, Strom zu sparen. „Zum ersten Mal kommen hier Ökonomie und Ökologie nahtlos zusammen“, sagt René Wienholtz, Chef des Strato-Rechenzentrums. Der Herr über 43.000 Server hat die vergangenen 18 Monate damit verbracht, jede denkbare Möglichkeit auszuloten, den Stromzufluss zu verringern. Das Ergebnis: Der Verbrauch sank um 30 Prozent. Wenn Wienholtz nun durch sein Rechenzentrum geht, spricht er von kalten und warmen Gängen, von intelligenten Kühlsystemen und sparsamen Computerchips. Als er vor Jahren das Rechenzentrum, das aus Sicherheitsgründen keine Adresse haben darf, in Betrieb nehmen wollte, musste er sogar eine Genehmigung des Luftfahrtbundesamtes einholen. Weil das Gebäude in der Nähe der Einflugschneise des Flughafens Tegel liegt, hätte die Abwärme zu Luftwirbeln führen können. Strato-Chef Schmidt will nun seine Rechenzentren komplett CO2-frei machen. Ab Januar wird Strato nur noch mit Strom aus Wasserkraft beliefert. Dafür musste das Unternehmen zu einem alternativen Anbieter wechseln. Der bisherige Stromlieferant EnBW konnte die benötigte Menge von 30 Gigawattstunden pro Jahr nicht liefern. Die Klimaentlastung ist groß: 15¿000 Tonnen CO2 werden so weniger ausgestoßen, das entspricht den Werten von 5000 Vier-Personen-Haushalten. „Der Energiekostenanteil der Informationstechnologie steigt weiter, allein schon wegen der zunehmenden Digitalisierung“, sagt IDC-Chefforscher Hingley. Die gesamte Branche befindet sich in einem Wettlauf. Zwar steigt der Stromverbrauch des Internets weiter an. Doch die Folgen können abgemildert werden. Plötzlich will niemand hinten anstehen. Sogar US-Präsident George W. Bush, nicht gerade bekannt für seine Klimainitiativen, hat die amerikanische Umweltschutzbehörde EPA angewiesen, die Energieeffizienz der Internet-Server zu untersuchen. Im Februar hat der Chiphersteller AMD gemeinsam mit den IT-Unternehmen Sun Microsystems, IBM und HP die Initiative „Green Grid“ ins Leben gerufen, im Juni folgten Google, Microsoft und andere mit der „Climate Savers Computing Initiative“. Dell pflanzt für jeden Kunden, der ein paar Euro mehr zahlt, sogar einen Baum als CO2-Wiedergutmachung. Fujitsu-Siemens hat schon 1993 seinen ersten „grünen PC“ mit automatischer Stromsparfunktion vorgestellt.
Deutscher Schulterschluss für das Klima
In Deutschland haben sich acht Repräsentanten der Wirtschaft zur Initiative „2° – Deutsche Unternehmer für Klimaschutz“ zusammengeschlossen. Telekom-Chef René Obermann ist Mitglied dieser Gruppe und will in diesem Jahr etwa ein Drittel des Stromverbrauchs der Telekom in Deutschland aus erneuerbaren Energiequellen bestreiten. Wie Strato kämpft auch die Telekom-Tochter T-Systems in ihren Rechenzentren gegen den Hitzestau. Die Ingenieure haben in ihrer Server-Halle in München sogar ein eigenes Kraftwerk mit Brennstoffzellentechnik eingebaut, das sie intern „Cola-Dose“ nennen, weil es diese Form hat. Das Mini-Kraftwerk wandelt die chemische Energie, die in Wasserstoff oder Biogas enthalten ist, direkt in elektrischen Strom für die Kühlung um. Trotz aller Initiativen der Industrie entscheidet am Ende der Internet-Nutzer, wie stark er das Klima belastet. Der Rat von Experten ist einfach: Computer auch mal ausschalten. Auf einen ungewöhnlichen Vorschlag kommt der Autor des EcoIron-Blogs Mark Ontkush: Würde Google die Hintergrundfarbe seiner Webseite von Weiß auf Schwarz umstellen, ließen sich jährlich 3000 Megawattstunden Strom einsparen, weil Röhrenmonitore bei der Darstellung dann weniger Strom verbrauchen.
Niemand geht davon aus, dass der Stromhunger des Internets zurückgehen wird. Allerdings können alternative Energiequellen die Klimafolgen abmildern. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace geht noch einen Schritt weiter: Auf seiner CO2-freien Internet-Seite fragt der Öko-Strom-Anbieter Greenpeace energy: „Sie haben noch keine atomstromfreie E-Mail-Adresse?“
Quelle: http://www.welt.de/webwelt/article1203605/Das_Internet_ist_der_wahre_Klimakiller.html
Gabriel will "Trend stoppen"
Das Internet wird offenbar zum "Stromfresser"
Nach Angaben des Bundesumweltministeriums wird das Internet zunehmend zu einem regelrechten "Stromfresser". Die Netzinfrastrukturen gehörten zu den am schnellsten wachsenden Stromverbrauchern. Zwischen 2000 und 2005 habe sich in den USA der Stromverbrauch von Servern verdoppelt. "Weltweit hat der durch die Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) bedingte CO2-Ausstoß das Emissionsniveau des Flugverkehrs erreicht", schreibt das Umweltministerium. Eine virtuelle Identität in der Online-Welt Second Life verbrauche jährlich so viel Strom wie durchschnittlich ein Brasilianer im Jahr. In Deutschland liegt der auf die gesamte Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) entfallende Strombedarf den Angaben zufolge bei 8 Prozent am gesamten Stromverbrauch der Endenergiesektoren. "Allein der Stromverbrauch des Internets beläuft sich auf über zwei Prozent."