Wie funktioniert der Strommarkt in Deutschland?

Markus:

Stichworte zum Beitrag:

Merrit Order, Strom Börse Leipzig, Atomstrom Frankreich, Gaskraftwerke verteuern ALLEN Strom, Systemproblem

Unsere Wirtschaftssysteme sind entgegen den Wirtschaftstheorien nicht von Markt und Vernunft, sondern auch von Psychologie und erworbenen Verhaltensmustern abhängig. Kaufen wir nicht länger MEHR ein als vernünftig ist, gerät das System (scheinbar) ins wanken.

So führt der teuere Strom aus Gaskraftwerken dazu, dass auch der billige und der (ohne geselllschaftliche Kosten gerechnet ) scheinbar günstige Kohle- und Atomstrom aus den abgeschriebenen Kohlekraftwerken genauso bezahlt werden müssen, wie der höchste Preis im freien Strommarkt

Einen Umbau des Stromnetzes müssen wir sowieso vollziehen.

Regeln müssen angepasst und dabei meist vereinfacht werden.

Endlich Freiheit für die Freiheitsenergien!

Von der Verständlichkeit und Bedeutung her, könnten diese Beiträge eng neben dem Top-Beitrag zu Echter Ökostrom stehen, um die Dringlichkeit eines Wechselns zu verdeutlichen.


Auszug aus plus/minus:

Warum die Strompreise steigen

Der Preise für Strom an den Börsen stieg von früher rund vier Cent auf mittlerweile mehr als 20 Cent. Allerdings: Erdgas trägt trotz allem nur rund 15 Prozent zur deutschen Stromerzeugung bei. Selbst wenn sich der Gaspreis massiv erhöht, ist eine Vervielfachung der Börsenpreise für Strom überraschend. Braunkohle wird von den Kraftwerksbetreibern selbst zu praktisch unveränderten Kosten aus dem Boden geholt; Wind, Sonne und Wasserkraft wurden eher billiger als teurer. Doch spezielle Regeln der Strombörse bescheren den Betreibern solcher Anlagen massive Gewinne.Im kurzfristigen Handel wird zunächst geschätzt, wie viel Strom in den kommenden Stunden oder auch am Folgetag benötigt wird und wie viel davon aus Wind und Sonne gedeckt werden kann. Dann beginnt eine Auktion, bei der zunächst die billigsten Kraftwerke, meist Braunkohle, zum Zug kommen. Je mehr Strom benötigt wird, desto teurere Kraftwerke - oft Steinkohle - kommen zum Zug. Zuletzt bieten die teuersten - eben Gaskraftwerke -iIhren Strom an. So weit, so logisch. Am Ende bekommen dann aber alle Erzeuger - auch die billigsten - den Preis, den das teuerste Kraftwerk erzielt hat. Und weil auch die Preise für den langfristigen Stromhandel sich an den kurzfristigen Börsenpreisen orientieren, stiegen auch dort die Preise massiv.

Weil Stromversorgungsunternehmen ihre Ware meist zum größten Teil ein bis drei Jahre im Voraus von den Erzeugern kaufen, wird sich dieser Anstieg für Endkunden erst in den kommenden Jahren zeigen. Doch Experten erwarten einen Anstieg der Endkundenpreise von heute rund 35 Cent pro Kilowattstunde auf bis zu 55 Cent im Lauf des nächsten Jahres. Für einen durchschnittlichen Vierpersonenhaushalt wäre das eine Mehrbelastung von 760 Euro pro Jahr.


Matthias:

Vielleicht habt Ihr vorgestern den Beitrag von Plusminus zur Gasverstromung gesehen, sonst unbedingt nachholen.

Bei den gegenwärtigen Gaspreisen sprudelt die Kasse wegen der Regelung „alle bekommen den Preis, den das letzte und teuerste Kraftwerk der Merit Order erzielt“.

Dementsprechend müsste zum ersten Mal bei der EEG Umlage ein deutliches Plus unterm Strich stehen, d.h. Gewinne aus den Erneuerbaren an die Stromendkunden ausgeschüttet werden. Der Staat muss also gar nichts aus der CO2 Abgabe drauflegen. Vielmehr besteht mit der neuen Regelung die Gefahr, dass er den Gewinn einfach einsackt.

Wir haben die letzten Jahre für eine CO2 Steuer gekämpft in Verbindung mit einer Abschaffung der EEG Umlage als sozialen Ausgleich. Jetzt besteht die Gefahr, dass uns das auf die Füße fällt. Die Energiepreise sind so hoch, wie wir sie uns nur erträumen konnten. Allein, die Lenkungswirkung (Zubau von günstigen EE) bleibt (bisher?) aus und die EEG Absenkung ist Makulatur!

Ich habe viele Diskussionen geführt zur Idee der CO2 Steuer. Häufigstes Gegenargument: Jede zusätzliche Steuer, die der Staat erhebt, sackt er einfach ohne Gegenleistung ein. Alles hat den Anschein, als hätten diese Skeptiker Recht behalten.

Wir sollten in einer Kampagne klarmachen:

(1) die hohen Energiepreise sind nicht die Folge der CO2 Steuer

(2) die CO2 Steuer ist auf andere Weise an die Bürgerinnen und Bürger zu erstatten, Offenlegung der EEG Finanzen.

(3) Warum bleibt die Lenkungswirkung aus? Forderung nach Änderungen.


Ullrich: Der Struktur-, eigentlich besser Geburtsfehler, liegt im System der Merit Order.

Dieses System (das letzte sprich teuerste Kraftwerk bestimmt den Preis für alle) führt zu vielerlei Unsinn.

Ich erinnere u.a. an die sehr gut verständliche Darstellung Christian Meyers zu der Frage, warum einige Kraftwerke trotz negativer Strompreise weiter volle Lotte durchlaufen und dennoch unter’m Strich Geld verdient wird (die Zeitkonstante der Braun- und Steinkohle ist es eben nicht alleine).

Vor allem ist verwunderlich, warum ein vergleichbares System dann nicht auch den systemdienlichen EE-Anlagen, die z.B. Regelleistung anbieten, gewährt wird.

Oder, noch offensichtlicher: im Ausschreibungsverfahren! Da gibt es nichts vergleichbares.


Klaus:

Die derzeitige Konstellation des Strommarkts benachteiligt die erneuerbaren Energien und schafft für fossile Kraftwerksbetreiber weitgehend risikolose Möglichkeiten zu Arbitrage-Gewinnen, meint Klaus Mindrup, SPD-Umweltexperte im Bundestag. Er plädiert in seinem Standpunkt für Reformen, die Flexibilität, Eigenverbrauch und Speicherung belohnen.

Seit Jahren höre ich immer wieder die These, die erneuerbaren Energien müssten sich den Märkten anpassen. So pauschal ist dieser These nicht zu widersprechen, aber sie verkennt, dass die Marktregeln dann auch für alle fair sein müssen. Dies ist schon seit Jahren nicht mehr der Fall.

Die Grundidee des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) – vor allem von Hermann Scheer und von Hans Josef Fell als Parlamentsgesetz auf den Weg gebracht – hat sich absolut bewährt. Die feste, aber jährlich sinkende Einspeisevergütung hat die Akteursvielfalt der Energieerzeuger deutlich erhöht und zugleich eine weltweite Innovationswelle auf den Weg gebracht.

Was vor über 20 Jahren mit einer Festvergütung von zwei Mark pro Kilowattstunde (kWh) in Aachen begann, setzt sich heute mit Ausschreibungsergebnissen von knapp über 1,1 Cent fort, wie bei der Ausschreibung in Portugal im letzten Jahr zu beobachten war.

Weltweit ist diese Entwicklung nicht zu stoppen, vor allem weil die Speichertechnologien jetzt als Zwilling der Erneuerbaren Energien weltweit erforscht und in die Praxis umgesetzt werden. Mit der Automobilindustrie gibt es hier einen finanzstarken wichtigen Treiber, weshalb ähnlich deutliche Kostenreduzierungen wie im Bereich der Erneuerbaren Energien zu erwarten sind.

Die Eigenerzeugung wird verunglimpft und diskreditiert

Im Bereich der Photovoltaik war vor zwanzig Jahren das Ziel, dass die Kosten für die Eigenstromerzeugung zu denselben Kosten wie der Strombezug aus dem Netz erfolgen kann („grid parity“). Dieses Ziel ist in Deutschland seit langem erreicht. Die Gegenbewegung aus dem Bereich der alten Energiewelt erfolgte umso härter. Die Eigenerzeugung von Strom wurde als „Entsolidarisierung und De-Industrialisierung“ verunglimpft, obwohl alle nutzbaren Potenziale zur Gewinnung von PV Strom für den Klimaschutz genutzt werden müssen und in der Folge der eigenerzeugte Strom bis auf wenige Ausnahmen mit einer Umlage belastet. Aus Klimaschutzgründen muss diese Fehlentwicklung dringend korrigiert werden.

Die Diskriminierung der dezentralen Eigenerzeugung steht in klarem Widerspruch zu EU-Recht, das den Prosumer-Ansatz fordert. Um den Debatten über die angebliche Entsolidarisierung die Grundlage zu entziehen, ist es notwendig, die Kosten für die Strom-Verteilnetze zukünftig anders zu finanzieren, unabhängig vom Strombezug. Dazu gibt es bereits seit langem Vorschläge aus den Verbänden.

Ähnlich dramatisch wie die Fehlregulierung im Bereich der Prosumer ist die Entwicklung im Bereich der Vermarktung des Stroms aus erneuerbaren Energien. Wir erleben heute, dass man mit den Regeln der Vergangenheit die Märkte der Zukunft regeln will. Das kann nicht gelingen. Die Coronakrise wirkt dabei wie ein Brandbeschleuniger. Die Kosten für Wind und Photovoltaik sinken seit Jahren, trotzdem steigen die Kosten für Verbraucherinnen und Verbraucher und für die nicht von der EEG-Umlage befreiten Betriebe. Allein diese Korrelation zeigt, dass etwas im System nicht stimmt.

Seitdem der erneuerbare Strom nahezu komplett am Spotmarkt verkauft werden muss, sinken dort die Strompreise. Nach einem Maximum von fast sieben Cent je kWh im Jahr 2009 wird der Börsenwert des Stroms zur Differenzkostenermittlung 2021 laut Prognose der Übertragungsnetzbetreiber auf unter vier Cent je kWh sinken.

Die zunehmende Einspeisung von Photovoltaik- und Windstrom senkt somit die Börsenpreise, doch je mehr Erneuerbare installiert werden, umso teurer erscheint nach dieser Methode die Kilowattstunde Erneuerbare-Strom in der Förderung. Und das obwohl die Zahlungen an die Anlagenbetreiber für neue Anlagen pro Kilowattstunde deutlich gesunken sind und weiter sinken werden.

Bei deutlich sinkenden Endenergieverbräuchen wird sich der Stromverbrauch in Deutschland aufgrund der Sektorenkopplung stark erhöhen müssen, um unsere Klimaschutzziele zu erreichen und den Industriestandort zu sichern. Spätestens dann wird das System offen kollabieren.

Das hängt vor allem mit dem unfairen Marktregime zusammen. Strom aus den konventionellen Kraftwerken wird Jahre im Voraus entweder über die Strombörse oder im freien Handel verkauft. Am kurzfristigen Spotmarkt, an dem die erneuerbaren Energiemengen gehandelt werden, treffen somit Überschüsse aus hoher Erneuerbaren-Einspeisung auf einen teilweise bereits gesättigten Markt. Diese werden durch die deutschen Regeln sogar noch ihrer „Grünstrom-Eigenschaft“ beraubt und verlieren damit weiter an Wert.

Arbitragegeschäfte gegen die Erneuerbaren

In Zeiten hoher Einspeisung kommt es zu extremen Stromüberschüssen. In dieser Situation können risikoarm nur Stromhändler, die auch eigene Kraftwerke im Portfolio haben, reagieren. Sie können je nach Preis an der Börse entweder Strom selbst produzieren und verkaufen („produce and sell“) oder sie kaufen und verkaufen („buy and sell“).

Durch die Zwangsvermarktung des Stroms aus EEG-Anlagen ist an vielen Tagen ausreichend günstiger Strom zum Ankauf vorhanden, um Arbitragegeschäfte zu realisieren. Weht der Wind mal nicht oder scheint die Sonne nicht, wird der eigene Kraftwerkspark mit Gewinn hochgefahren.

Alle Betreiber, die am Jahresende durch Zukauf erneuerbaren Stroms die prognostizierte Stromerzeugung in fossilen Kraftwerken reduziert haben, können die dann überschüssigen C02-Zertifkate aus dem europäischen Emissionshandel zusätzlich an der Börse verkaufen. Wir haben es also mit einem absolut sicheren Geschäftsmodell zu tun, das die Verbraucherinnen und Verbraucher und die nicht von der EEG-Umlage befreiten Mittelständler bezahlen.

Um dies zu überwinden, brauchen wir mehr Flexibilität am Markt. Erstens müssen die Betreiber konventioneller Kraftwerke im Falle von Stromüberschüssen verpflichtet werden, nicht zwingend benötigte konventionelle Einspeisung abzuschalten, sodass mehr Raum für Erneuerbare Einspeisung entsteht und negativen Strompreise in ihrer Höhe und Anzahl begrenzt werden. Zweitens muss die künstliche Verknappung am Markt durch Behinderung der Sektorenkopplung beendet werden. Hierfür ist eine schnelle Abschaffung der EEG-Umlage der beste Weg. Wärmenetze mit Speichern sind aufgrund ihrer Trägheit eine ideale Ergänzung zur volatilen Stromerzeugung.

Notwendige Reformen machen Strom für alle günstiger

Außerdem ist es notwendig, Speicher und Wandler nicht länger durch Abgaben, Umlagen und Bürokratie zu belasten, denn sie sind die notwendigen Zwillinge des Ausbaus erneuerbarer Energien. Diese werden so planbar und verlässlich.

Im zukünftigen Stromsystem kann es nicht gelingen, den Verbrauch und die Erzeugung ohne Speicher und Wandler in der Balance zu halten. Dies ist überhaupt nicht kritisch, da zum Beispiel die zukünftige Elektro-Autoflotte mit ihren Batterien wichtige Speicherleistungen zur Verfügung stellen kann.

Zusätzlich ist es erforderlich, dass der erneuerbare Strom klar als solcher klassifiziert wird, schließlich ist diese Eigenschaft ein wertvoller Qualitätsnachweis und auch für Unternehmen interessant.

Die dann sinkenden Differenzkosten könnten in den nächsten Jahren anteilig aus den Einnahmen der CO2-Bepreisung bezahlt werden. Damit wird es am Ende für fast alle kostengünstiger. Eine Erhöhung des Börsenstrompreises auf das Niveau von 2009 würde die Differenzkosten für die Verbraucherinnen und Verbraucher um etwa 6,9 Milliarden Euro absenken. Zusätzlich werden wirtschaftliche Risiken beim Betrieb von erneuerbaren Anlagen gesenkt und ermöglichen auch den Betrieb von Anlagen außerhalb einer Förderung, was zusätzlich zu einem freien und dringend benötigten erneuerbaren Ausbauvolumen führt. Weiterhin können wir endlich ein stabiles System der Sektorenkopplung in Deutschland aufbauen, das kostengünstig und effizient funktioniert.

StromMarktDesign (zuletzt geändert am 2022-07-22 19:00:56 durch FranzSommer)

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